Krause Gedanken 9

von Volker Poehls

Es gibt ein ehernes Gesetz, das da lautet "Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt". Wer dieses eherne (und noch dazu unverschämt gut formulierte) Gesetz mißachtet, den bestraft la vida loca. Dieses Naturgesetz, das man - ohne rot zu werden - in einem Atemzug mit den Fall- und Murphys Gesetzen nennen darf, wurde in jüngster Zeit von Helmut Karasek mit Füßen getreten oder in den Schmutz, aber jedenfalls getreten. Karasek hat nämlich ein Buch über seine Zeit beim SPIEGEL in die Welt gesetzt, genauer gesagt: einen Schlüsselroman. Dieser Schlüsselroman - Karamalz würde vielleicht sagen: "roman à clef", um ein wenig Bildung aufblitzen zu lassen - gibt ihm die Gelegenheit, nach Herzenslust über seinen Lieblingsfeind, Günther Grass, her und vom Leder zu ziehen. Karasek stand vor der Frage, mit welcher griffigen, bitterbösen Formel er Grass, dem er im Roman den alliterierenden Decknamen Friedrich Freund verpaßt hat, am besten verhöhnen könnte. Er fand den Begriff "Fast-Nobelpreisträger". Diese Wortschöpfung fand er so toll, daß er tagelang mit einer schmerzhaften Dauererektion herumlief, weil "Fast-Nobelpreisträger" ja ähnlich absurd ist wie "ein bißchen schwanger". Er war so begeistert von dieser seiner Kopfgeburt, daß er sie gleich mehrfach verbraten mußte, sie dem Leser immer wieder in die Augen reiben mußte:

"...hier erzählte Doppler eines Abends von seinem Interview mit dem berühmten Schriftsteller und Dichter F.F., dem Fast-Nobelpreisträger." (S. 101 der Volksausgabe)
"Er hätte vor zehn Jahren fast den Nobelpreis für Literatur bekommen. Er ist also ein Fast-Nobelpreisträger. Und", Doppler lachte, "er hat ihn fast verdient. (...) Wenn man ihn fast verdient, bekommt man ihn fast nie." (S. 107)
"Später, im Alter, sollte er ein hochgeschätzter Querulant werden und ein Fast-Nobelpreisträger." (S. 110)
"F.F., Friedrich Freund, dessen Fast-Nobelpreisträger-Instinkt ..." (S. 116)
"Dann schwieg der Fast-Nobelpreisträger barsch." (S. 124)
"Der Fast-Nobelpreisträger klopfte ihm, via Telefon, anerkennend auf die Schulter." (S. 132)

Da hatte er sich über 30 Seiten hinweg an diesem "Fast" hochgezogen und dann kam dieser schwarze Tag (der 10. Dezember 99), dieser SuperGAU im Leben des Herrn Karasek, als nämlich seinem Intimfeind dann doch noch, plötzlich und unerwartet, aus heiterem Himmel kurz nach Veröffentlichung des Buches der Nobelpreis angepappt wurde. Da brach für Karasek eine Welt zusammen, weil sein großes Feindbild wider Erwarten doch noch auf den Nobel-Thron gehievt worden war und weil dadurch sein herzallerliebstes Spottwort vom Fast- Nobelpreisträger ja nachträglich falsifiziert wurde. Und dadurch ist ja im Grunde genommen jetzt der ganze Roman ungültig geworden und müßte eigentlich nach einer spektakulären Rückrufaktion öffentlich verbrannt werden. Oder jedenfalls sollten wir Helmuth Karasek (den man wegen seiner Affinität zum Teufel Alkohol auch Karasekt nennen könnte) ins Buchlager schicken, wo er in den noch nicht ausgelieferten Exemplaren seines Buches mit Filzstift sechs Mal das Wörtchen "Fast" einschwärzen muß. Außerdem wird er dazu verurteilt, in einer Fußnote auf das zugrunde liegende eherne Gesetz "Wer anderen den literarischen Stinkefinger zeigt, fällt selbst hinein" zu verweisen. Da diese Korrekturarbeit auf die Dauer eher nervtötend sein wird, darf Karasek, der schon mal genüßlich einen falschen Ablativ bei seinem Chefredakteur moniert (S.23), sich zwischendurch hinter die Ohren schreiben, daß der französische Fachausdruck für eine gesuchte Idealformulierung NICHT "bon mot" (S. 147) sondern "mot juste" ist und daß Cat Stevens NICHT gesungen hat "And if I ever lose my mind" (S. 249), sondern "And if I ever lose my hand". Im übrigen sind wir alle ganz spitz auf Karaseks nächsten Schlüsselroman, der wahrscheinlich den Titel "Ich war der Urbi et Orbi des Literaturpapstes" tragen wird.

Bei Hunden ist von Mutter Natur für bestimmte Extremsituationen eine Notbremse eingebaut worden. Diese Notbremse hindert sie insbesondere daran, andere Hunde totzubeißen, die sich bereits ergeben haben und ihnen ihre Kehle entgegenstrecken. (Wenn ich Hund wäre, würde ich mich allerdings nicht darauf verlassen und lieber wegrennen, was das Zeug hält.)
Bei den Menschen verhindert das gute alte Überich, daß wir mal etwas tun, was wir später bitter bereuen könnten. Das hindert uns jedoch nicht daran, in Gedanken ausführlich durchzuspielen, was man alles tun könnte, wenn man nur dürfte.
Eine solche Phantasie läuft bei mir folgendermaßen: Vor mir fährt ein großes Auto, etwa ein BMW, sündhaft teuer und besetzt mit entsprechend hochnäsigem Fahrer und Beifahrer. Geld spielt keine Rolle. Aber da ist ein Detail, das nicht ins Bild paßt: Das Bremslicht funktioniert nicht. Geld wie Heu, aber können nicht darauf achten, ob der Troß der hinterherfahrenden Bewunderer auch durch ordnungsgemäß arbeitende Leuchten vor einem Auffahrunfall geschützt wird.
Mein Phantasie-Film, der dann immer vor meinem inneren Auge abläuft, bringt dann folgenden schönen Showdown. Dschango (das bin ich) öffnet seine Autotür, schlendert betont lässig nach vorne, wartet eine Zehntelsekunde neben der Tür des BMW-Fahrers, um schließlich lässig und unendlich cool ans Fenster zu klopfen, natürlich ohne den Fahrer eines Blickes zu würdigen. Der Millionär am Steuer läßt geräuschlos das Fenster hinuntergleiten. Wortlos drückt Dschango ihm ein Fuffzisch-Pfennich-Stück in die Hand. Verwirrt fragt der Fahrer "Was soll ich damit?" Dschango ist schon auf dem Weg zurück zu seiner schmutzigen, verbeulten Karre. Er dreht sich noch einmal um, betont langsam. "Kaufen Sie sich davon mal ne neue Glühbirne fürs Bremslicht" knurrt Dschango.
Oh, dieser Moment des Triumphes. Tun muß man es nicht. Aber es sich vorstellen. Und diese Szene so richtig genießen.

 

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