Kleine Psychologie des Fremdworts

von Volker Pöhls

8. Mögliche Motive, falsche Fremdwörter zu sammeln

Man kann sich z.B. mit falschen Fremdwörter befassen, weil man einen bescheidenen Beitrag leisten möchte, die Welt "ein Stück weit" besser, nämlich sprachlich richtiger, zu machen.
Ein nicht ganz so schönes Motiv wäre Snobismus, also ein Überlegenheitsgefühl gegenüber anderen, auf die entsprechend herabgeschaut wird.

7.1. Fremdwörter-Tourette oder: Warum verwenden Menschen Fremdwörter, obwohl sie sie offenbar nicht beherrschen?

Ich möchte folgende - aberwitzige - Theorie zur Diskussion stellen: Der Mechanismus funktioniert ähnlich wie beim Tourette-Syndrom: TouretteDie Touretten verspüren einen unkontrollierbaren Zwang, mit Fäkal- und anderen Tabuwörtern um sich zu werfen. Dabei ist es wichtig, dass die Tabuwörter von der Umwelt als unpassend empfunden werden; es muss sich um einen Tabubruch handeln.
Beim Fremdwörter-Tourette leiden die Betroffenen unter dem Zwang, mit Fremdwörtern um sich zu werfen, die sie nicht beherrschen. Dabei gilt: Je weniger ein Fremdwort beherrscht wird, desto größer ist der Zwang, dieses Fremdwort bei allen unpassenden Gelegenheiten zu ejakulieren.

7.2. Fremdwörter-Diarrhö oder Fremdwörter-Dünnpfiff

Während Fremdwörter-Tourette ein chronisches Leiden bezeichnet, handelt es sich bei der Fremdwörter-Diarrhöe um einen temporär auftretenden Verbaldurchfall, z.B. bei Menschen, die sich plötzlich in einer vermeintlich intellektuellen Umgebung wiederfinden. Bei Notfällen hilft Silentium Akut (Zu Risiken und Nebenwirkungen wenden Sie sich an Ihren Arzt oder Apotheker).

7.3. Fremdwörter-Tsunami

Handelt es sich nachweislich um einen einmaligen, kurzzeitigen Anfall von Fremdwörter-Diarrhöe, so spricht man auch von einem Fremdwörter-Tsunami.

0. Fremdwörter-Fans im Vergleich

Fremdwörter verwenden, die man nicht beherrscht, ist wie das Herumlaufen mit einem angeklebten Bart. Fremdwörter falsch zu verwenden ist so, als wenn man vor laufender Kamera das Toupet verliert.
Wer Fremdwörter in den Mund nimmt, ohne sie zu kennen, ist wie ein Geisterfahrer, der eine Kurve mit zu hoher Geschwindigkeit nimmt und jederzeit gegen einen Baum knallen kann.
Fremdwörter nachplappern ist wie Milli Vanilli - sie hampeln herum und bewegen den Mund und versuchen zu bluffen, bis alle erfahren, dass alles nur Playback war.
Wer Fremdwörter falsch verwendet, ist wie ein Betrunkener, der sich selbst für den Größten hält, wenn er auf der Kreuzung den Verkehr regelt, von allen Nüchternen aber nur belächelt und bemitleidet wird.
Fremdwörter ahnungslos verwenden ist wie das Tragen eines mit Schaumgummi ausgestopften Push-Up-BHs - ein Täuschungsversuch.

1. Was schließen wir aus falschen Fremdwörtern?

Hier sind Parvenüs, Halbgebildete, Möchtegerns am Werke. Hier möchte jemand mehr scheinen als sein. Wer es für nötig hält, sich sprachlich aufzuplustern wie ein Pfau, mit dessen Selbstbewusstein stimmt etwas nicht. Wer mit Wortgetöse angeben will, will von anderen Schwächen ablenken. Nehmen Sie dessen sprachliche Äußerungen um so genauer unter die Lupe und prüfen genau, ob das fremdsprachliche Feuerwerk nur Kompensation für andere Schwachstellen sein soll.

2. Unter den Blinden ist der Einäugige König.

Wer eine Fremdsprache nicht beherrscht, der wird sie nicht freiwillig anzuwenden versuchen; er wird seine Muttersprache bevorzugen, mit der er korrekt umzugehen versteht. Ausnahmefall: Jemand glaubt, mit der Fremdsprache Eindruck schinden zu können. Eindruck kann man schinden gegenüber anderen, die sich noch weniger mit Fremdwörtern auskennen. Also: oder noch kürzer: Ideal für Einäugige unter Blinden. Die Blinden verstehen zwar nichts, kennen weder korrekte noch falsche Fremdwörter, sind aber zutiefst imprägniert ob des demonstrativ zur Schau gestellten elaborierten Codes.

3. Nebelbomben und heiße Luft

Viele Fremdwörter sind in ihrer Bedeutung nebulös, mehrdeutig oder es steckt ein riesiges, mehr oder weniger wackeliges Denkgebäude hinter ihnen. Wer z.B. sagt, etwas sei "psychoanalytisch hochinteressant" macht sich interessant, klingt tiefsinnig und gebildet, obwohl zunächst nichts als ein verwaschenes, großes Wort in den Raum gestellt worden ist. Dieses Vorgehen eignet sich besonders bei Einäugigen im Umgang mit Blinden. Blinden gegenüber läuft der Einäugige nicht Gefahr, dass seine sprachlichen Eruptionen hinterfragt werden. Trifft man jedoch auf Sehende, könnte sich der Sieg schnell in eine Niederlage verwandeln.

4. Vom Umgang mit Fremdwortfetischisten

Angenommen jemand meint, das schöne Wort "Obstipation" ausspucken zu müssen. Man könnte reagieren mit "Obstipation - ist das nicht nur ein anderes Wort für Verstopfung?". So darf man nur reagieren, wenn man sich 100 % sicher ist. Sie hat den Nachteil, dass der Fremdwortspucker dadurch seine Siegerpose beibehalten kann. Die Reaktion "Was war man noch Obstipation?" hat den Nachteil, dass der Antwortende sich damit klein macht. Sie hat jedoch den Vorteil, dass der Mit-Fremdwörtern-um-sich-Werfer dadurch gezwungen wird, eine überzeugende Erklärung auf den Tisch des Hauses zu zaubern. Bei der Antwort zeigt sich schnell, ob es sich bei dem Fremdwörter-Großmaul um einen Kenner oder einen Bluffer handelt, der nicht weiß, wovon er schwafelt. Ein aggressiverer Konter wäre "Kannst du das auch auf Deutsch sagen!" Dadurch würde man Zeit für eine gute Parade gewinnen und das Blähgebäude großer Worte würde auf seine banale Elementarbedeutung reduziert werden - oder der Quasselkasper würde sich selbst entlarven, wenn er zugeben müsste, dass er selbst nicht weiß, wovon er spricht.

5. Mitarbeitern Fremdwörter aufzwingen

Wenn Mitarbeitern Fremdwörter aufgezwungen werden, führt das zu lächerlichen Fehlverwendungen. Falsche Fremdwörter benutzen ist wie das Tragen von Schuhen, die einige Nummern zu groß sind. Ein Clown trägt zu große Schuhe. Man lacht über ihn. Die Mitarbeiter wirken auf Fremdwörterkundige wie Hampelmänner, die mit Werkzeugen arbeiten, mit denen sie nicht umgehen können. Es ist, als würden sie über zu lange Hosen fallen, in die man sie gezwängt hat.

6. Tipps für den Fremdwörter-Angeber

a) Wenige, universell verwendbare Fremdwörter sicher lernen wirkt besser als viele Fremdwörter mit nur 50%iger Trefferquote. Lange, komplizierte Fremdwörter sind gefährlich - wenn der Bluffer, Poseur, Aufschneider angetrunken ist, geht die Aussprache garantiert daneben, und das ist blamabel.
b) Wenn eine Nachfrage wegen eines Fremdwortes erfolgt, immer sofort eine Erklärung parat haben, und sei sie noch so falsch. Eine prompte Antwort macht Kritiker am ehesten mundtot. Wenn Zweifel an der richtigen Verwendung geäußert werden, großschnäuzig verkünden, die Wortbedeutung sei allgemein üblich. Wird ein Lexikon zu Rate gezogen, die Qualität des Lexikons lautstark anzweifeln. Ausnahmeausrede (nur im äußersten Notfall anzuwenden): Behaupten Sie, der große X.Y. (z.B. Theodor Adorno) habe das Fremdwort immer in dieser Bedeutung verwendet. Dann sind Sie aus dem Schneider.
Anregungen und nette Kommentare bitte an Volker Pöhls

Im März 2003 - Letzte Änderung 24.03.2012